Bis der Arzt kommt

In Wuhan, wo das Coronavirus vor einem Jahr ausbrach, ist das Leben wieder erstaunlich normal. Erkundungen in einer Stadt, in der die Regierung ihr Versagen zur Heldengeschichte umdichtet.

Lea Deuber

29.12.20 SZ, Seite 3

 

Selbst nach dem Tod bleiben die Augen des Staates auf ihn gerichtet: Li Wenliang hängt an der Wand einer Dauerausstellung in Wuhan, Überwachungskameras haben ihn im Blick. Unter dem Bild steht: Parteimitglied und Arzt. Was da nicht steht: Er ist der Arzt, der die Welt vor dem Virus warnte, als die Lokalbehörden noch versuchten, den Ausbruch zu vertuschen. Er bekam Redeverbot, musste ein Schuldeingeständnis unterschreiben, wurde krank und starb Anfang Februar mit 34 Jahren am Corona-Virus. Jetzt wird er als Genosse Li zu einem der ihren gemacht. Die Meldung über seinen Tod und die Beileidsbekundung der WHO wurden allerdings im Februar wieder aus den Medien gelöscht aus Angst vor Massenprotesten.

Vor fast einem Jahr begann die Corona-Katastrophe in Wuhan. Die 125seitige Corona-Fibel der Zentralregierung informiert darüber, wie transparent und offen und verantwortungsvoll die Regierung reagiert habe. Die Führung habe zentral und effizient gehandelt mir einem "sicheren Gespür für die Menschheit". Diese Version wird inzwischen auch in stundenlangen Heldenepen, Opern und 20-teiligen Fernsehserien erzählt. Wuhans Ärzte werden darin gefeiert als 'Krieger in weißen Kitteln', aber noch strahlender sind die Helden der Partei.

Vor einem Jahr wütete das Virus ungehemmt in der Millionenstadt. Zunächst hieß es, es sei nicht zwischen Menschen übertragbar und leicht kontrollierbar. Die Worte 'nicht heilbar' und 'tödlich' wurden aus den Medienberichten verbannt. Die Behörden fälschten Zahlen, zerstörten Laborproben, bis das Gesundheitssystem zusammenbrach. 76 Tage wurde Wuhan abgeriegelt; es war ein Lockdown, wie es ihn weltweit noch nicht gegeben hatte. Familien wurden auseinandergerissen, Menschen in ihre Wohnungen eingeschlossen, manchmal mit Gewalt. Wochenlang waren sie in ihren Wohnungen, in Hotels oder in Massenunterkünften eingesperrt.

Tausende Menschen starben in Wuhan. Doch seit Mai sind keine neuen Infektionen bekannt. Das Leben pulsiert wieder. Jetzt ist in Wuhan eine große Messehalle zu einem Corona-Museum umgebaut worden, in dem vom Leid der Bevölkerung und von den Leistungen der Partei berichtet wird.

Die Wut der Bewohner von Wuhan kam im Frühjahr wie ein Unwetter über die Partei, die eine Kettenreaktion befürchtete. Kritische Medienberichte wurden unterdrückt und positive gepusht. Dann war auch plötzlich nichts mehr über Xis Verschwinden aus der Öffentlichkeit zu lesen und Kritiker wurden mundtot gemacht und inhaftiert. Die Stände auf dem Tiermarkt sind zerstört, die Händler über die Stadt verteilt. Die Menschen sind vorsichtig geworden und reden kaum noch über Corona, vor allem nicht mit ausländischen Medienvertretern. Und eine unabhängige Untersuchung über den Coronaausbruch wurde von der Regierung unterbunden, dafür aber berichtet, dass das Virus durch Ausländer, evtl. Militärs, ins Land gebracht worden sei.

 

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