Die hohe Kunst der Maria Chen-Tu

Hunderte Meisterwerke von Anselm Kiefer und Markus Lüpertz sind in China verschwunden. Einige davon hat die SZ nun aufgespürt. Ein Krimi, der von Gier, Geld und Gemälden handelt – und von einer rätselhaften Sammlerin aus Bremen.

Christoph Giesen, Egmont R. Koch, Kai Strittmatter

16.01.21 SZ, Seite 11 - 14

 

Im Herbst 2016 war der Ansturm der chinesischen Kunstwelt auf das Museum der Akademie der Künste in Peking gewaltig. 87 Werke von Anselm Kiefer, 152 Werke von Markus Lüpertz und 103 Fotographien von Renate Graf waren zu sehen. Die Sammlung wanderte nach Peking weiter nach Shanghai, Nanjing, Wuhan, Jinan, Changsha.

Die Resonanz war euphorisch - und keiner konnte sich damals vorstellen, dass eine der größten Sammlungen der deutschen Gegenwartskunst im Wert von ca. 300 Mill. Euro einfach verschwinden würde. Mitten in China.

Ende 2019 verkündete die Samlerin Maria Chen-Tu, dass sie die Sammlung, auch MAP-Sammlung genannt, einem chinesischen Geschäftsmann anvertraut hätte. Einen schriftlichen Vertrag gäbe es nicht; nur eine mündliche Abmachung und Chat-Protokolle.

Maria Chen-Tu, Hundliebhaberin und Multimillionärin, stammt aus Taiwan, hat inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit und lebt in Bremen. Ihr Reichtum stamme aus einer Familienfirma, die Tiefkühlgemüse aus China nach Deutschland importiere. Wenig war über sie in Deutschland bekannt; in Taiwan war sie jedoch keine Unbekannte. In ihrer Autobiographie von 2001 verspricht sie Einblicke in den Mord an Kapitän Yin Ching-feng, Chef des taiwanesischen Beschaffungsamtes der Marine. Für die Lürssen-Wert flog sie nach Taiwan für Verhandlungen mit dem Chef des Beschaffungsamtes, der dann allerdings als Leiche in einer Bucht Taiwans angeschwemmt wurde. Maria Chen-Tu floh verkleidet aus dem Land.

In ihrer Autobiographie beschreibt sie auch die lange Freundschaft zu Peter Lürßen, einem diskreten hanseatischen Kaufmann. In der Lürssen-Werft ist Peter Lürssen verantwortlich für die Luxusyachten reicher Multimillionäre und sein Vetter für die Kriegsschiffe. - Bei einer MAP-Ausstellung 2019, mitgesponsert von Huawei, war die 'Holster-Privatstiftung' in Wien mitverantwortlich, die Peter Lürßen und seinen Kindern gehört. Das könnte bedeuten, dass zumindest ein Teil der verschwundenen Bilder der Familie Lürßen gehören könnte. Davon ist nichts illegal. Aber es könnte vielleicht miterklären, warum sich Maria Chen-Tu heute mit der Heimholung der Bilder aus China schwer tut: Die Behörden verlangen dafür eine Offenlegung der Besitzverhältnisse. Anfragen bleiben unbeantwortet.

Bei ihren China-Plänen setzte Maria Chen-Tu auf die Hilfe der Bell Art GmbH und deren Geschäftsführer Ma Yue - gleichzeitig Geschäftsmann, der mit den Bildern später abtauchen sollte. Ma Yue hatte versprochen, dass seine Bell Art GmbH die Sammlung in China groß herausbringen würde. Kritiker wurde beruhigt mit der Hauptkuratorin und Beraterin Beate Reifenscheid, Direktorin des Ludwig Museums Koblenz, die sechs Kiefer-Werke ihres Museums mit einbrachte, und dem Namen der Gallionsfigur der Bell Art Wilderich Graf von Schall-Riaucour, Mitgründer der Bell Art. Bell-Art war benannt nach Adam Schall von Bell, einem jesuitischen Missionar, der von 1622 bis 1666 in Peking lebt und dort als Mathematiker und Astronom zu einem der wichtigsten Mandarine am Kaiserhof wurde.

Alarmzeichen und Betrugsvorwürfe ga es schon 2016, aber keiner wollte die Warnsignale sehen: nicht die deutsche Museumsdirektorin, nicht Schall, nicht die Sammlerin. Es lockten Renomee, Ruhm und Geld in China.

In Changsha kam es im Oktober 2018 zum erten Konflikt, als dem Kruator Wenzel Jacob, dem ehemaligen Bonner Kunsthausdirektor, auffiel, dass das vorgeschriebene Protokollieren der Kiefer-Bilder und das ordentliche Verplaomben der Kisten unter Zoll-Aufsicht nicht mehr stattzufinden schien. "Und als nächstes verschwand dann die Sammlung", sagt Wenzel Jacob. - Ma Yue ließ sie nach Hongkong bringen, gab den Wert mit 68000€ an und sich als Eigentümer der Sammlung aus.

Ma Yues Bell Art wurde inzwischen wegen Vermögenslosigkeit in Hamburg liquidiert. Er selbst saß zeitweise im Gefängnis - und fühlt sich über den Tisch gezogen. Er habe Käufer für die Werke suchen sollen; die Ausstellungen wären eher Verkaufsausstellungen gewesen. Dafür wird ihm Lüge vorgeworfen. - Und wo die Bildler vor sich hin gammeln, ist nicht bekannt.

Größtes Opfer in dieser Affäre ist die Kunst. Und den Künstlern bleibt nicht als zuzusehen.

 

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