Hin und weg

Der Schweizer Mäzen Uli Sigg schenkte seine weltweit einmalige Sammlung chinesischer Kunst dem M+-Museum in Hongkong. Aber noch vor der Eröffnung beginnt nun der politische Furor. Und er kann nichts als zusehen.

Kai Strittmatter

23.04.21 SZ; Seite 3

Kunst: Werke aus der Sigg-Sammlung von Geng Jianyi 

"Wenn du deine Sammlung nach China gibst, dann kannst du sie auch gleich am Grund deines Sees versenken", warnte Ai Weiwei den Schweizer Uli Sigg. Hier Werke aus der Sigg-Sammlung von Geng Jianyi.

(Foto: Jean-Pierre Clatot/AFP)

 

 

Der linke Mittelfinger des chinesischen Künstlers Ai Weiweis ist weit gereist und lebt im Moment auf einem ruhigen Anwesen im portugiesischen Städtchen Montemor-o-Novo, wo er dem 63-jährigen Künstler hilft beim Stecken von Baumsetzlingen.

Die Fotos, sagt Ai Weiwei, seien damals mehr nebenbei entstanden, "eigentlich ganz private, dumme Schappschüsse", nie dazu gedacht, in die Kunstgeschichte einzugehen. Zumal Ai Weiwei Mitte der der Neunzigerjahre noch mindestens ein Jahrzehnt davon entfernt war, als Künstler Anerkennung zu finden. Es ist ihm um den ewigen Kampf zwischen den Strukturen der Macht und den Individuen gegangen.

In den kommenden Jahren schickte er seinen Mittelfinger auf Wanderschaft. Er ließ ihn vor dem Weißen Haus in Washington posieren, vor der Volksbühne Berlin, vor der Mona Lisa im Louvre. Und er streckte ihn in seiner Heimatstadt Peking aus, vor dem Tor des Himmlischen Friedens, dort, wo das Porträt Mao Zedongs über den von ihm geschaffenen Einparteienstaat wacht.

Dass jetzt ausgerehnet dieses Foto Ai Weiweis die Rotgardisten Hongkongs veranlasste, eine Attacke gegen unmoralische und vaterlandsfeindliche Kunst zu reiten und darüber ein Jahrhundertprojekt in Gefahr zu bringen, ist also vielleicht das, was die Chinesen yuanfen nennen: ein vom Schicksal vorbestimmtes Aufeinandertreffen. In Hongkong steht in einem halben Jahr die Eröffnung des sehnsüchtig erwarteten Museums M+ bevor, Teil eines viele Milliarden US-Dollar teuren neuen Kunstdistrikts, und Ai Weiweis Werk droht die Feierlichkeiten durcheinanderzubringen.

Vor acht Jahren stand das Foto noch im Kaminzimmer auf Schloss Mauensee im Kanton Luzern, das Uli Stigg bewohnt. Uli Stigg war in seinem bewegten Leben u.a. auch Botschafter der Schweiz in Peking. Während dieser Zeit entwickelte er sich nebenberuflich zu einem quasi professionellen Sammler und Förderer der chinesischen Kunst. "Kein chinesische Kritiker, kein chinesisches Museum verstand mehr von der modernen chinesischen Kunst als Uli Sigg" sagt Ai Weiwei. Uli Sigg lestete Pionierarbeit. Er war Mäzen, Kurator, Pate einer ganzen Szene. "Es gab Jahre, da war ich der Markt" sagt Uli Sigg.

Uli Sigg sah früh, dass die unangepassten, oft auch zornigen jungen Künstler mit keiner Anerkennung durch die Kulturbürokratie der Partei rechnen konnten. "Ich habe bewußt eine enzyklopädische Sammlung angelegt, die nicht nur den Mainstream, sondern auch die Ränder einschloss", sagt Sigg.

Die Finanzmetropole Hongkong wollte nicht nur sich, sie wollte dem asiatischen Kontinent ein Weltklassemuseum schenken: das M+, eine Neugründung auf Augenhöhe mit dem MoMa in New York und dem Centre Pompidou in Paris.

Sigg hielt es schon lange für absurd, dass das chinesische Volk seine eigenen Künstler nicht zu Gesicht bekam. Peking oder Shanghai schieden schnell aus. Das Risiko war zu groß, dass die halbe Sammlung im Keller verschwinden würde: zu schonungslos viele Werke, zu heikel viele der Künstler. Also Hongkong. Ulis Sigg entschloss sich 2012 seine Sammlung mit 1463 Werken von 359 Künstlern dem M+ zu schenken.

Auf demselben Flecken Land, auf den das Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meurer das M+ hinsetzte, entstand auch der neue Kopfbahnhof für Züge aus dem Festland: Raus aus China, rein ins Museum, sich vom Stachel der Kunst elektrisieren lassen - es schien eine brillante Idee zu sein.

Und es wäre immer noch eine. Wenn Hongkong denn Hongkong geblieben wäre. Nach dem Sicherheitsgesetz  Mitte 2020 kam es zur Säuberung in der Politik, dann in den Schulen und den Unis; jetzt sind die Künstler und die Kunst dran. Die Attacken begannen im März, Die Zeitungen Ta Kung Pao und Wen Weii Po - beides Sprachrohre der KP in Hongkong - griffen die Sigg-Sammlung des M+ an; manche Werke würden "die Würde Chinas" verunglimpfen.

Uli Sigg hatte diese Entwicklung nicht erwartet, als er 2012 der Stadt seine Sammlung schenkte. Er war schon fürher eine Berühmtheit in China: als Vertreter der Schweizer Aufzugsfirma Schindler hatte er 1980 das erste Joint Venture Chinas gegründet und so das Zeitalter von "Reform und Öffnung" mitausrufen dürfen. Geadelt von der KP-Führung zum Freund des chinesischen Volkes, sieht er sich jetzt mit 74 in Propagandaorganen der Partei abgestempelt als "ausländischer Agent".

In der chinesischen Tradition habe die Kunst ein Ideal von Schönheit und Harmonie gesucht, sagt Sigg: "In dieser Denkweise soll die Kunst dein guter Freund sein. Aber genau das ist zeitgenössische Kuinst nicht. Sie steht der Realität kritisch gegenüber, legt gar den Finger in die Wunde." Dafür braucht es Offenheit - und den Willen, sich darauf einzulassen.

M+-Direktorin Suhanya Raffel, eine in Sir Lanka geborene Australierin, hat natürliche eine substanzielle Veränderung in Hongkong in den letzten vier Jahren festgestellt. Aber das Basic Law wäre noch da "Die Meinungsfreiheit wird dort garantiert". Die Attacken hätten kommen müssen; das habe sie vorausgesehen. Aber jetzt, wo die Wunde angestochen wäre, könne man über Manches reden.

Die Ausstellung soll im November eröffnet werden. Erst dann wird sich zeigen, in welche Richtung die Kunst in Hongkong fließen wird.

 

https://www.sueddeutsche.de/politik/hongkong-kunst-sammlung-uli-sigg-museum-1.5273158?reduced=true (gebührenpflichtig)

 

s. auch: "Pressemitteilungen" auf der Homepage der GDCF vom 02.04.2021