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Aufbruch Ost

Corona? Ist für viele Asiaten nur noch eine Erinnerung aus dem Frühjahr. Doch anstatt sich ihr Verhalten zum Vorbild zu nehmen, blickt Europa mit reflexhafter Arroganz nach drüben. Das ist nicht nur empörend, sondern auch unsinnig.

Lea Deuber

12.12.20 SZ, Seite 51

 

In China, aber auch in vielen anderen asiatischen Ländern, machen die Ausländer den Menschen Angst. In vielen Ländern bleiben die Grenzen für Europäer geschlossen. Europas Strahlkraft ist in Asien geschwächt. Was als europäischer Individualismus verstanden wird, scheint in diesen Tagen mehr Albtraum als Vorbild. Ein Synonym für satte, unflexible Gesellschaften, in denen Menschen Freiheit mit Egoismus verwechseln und die eigenen Bedürfnisse über das Leben anderer stellen.

Verwundern kann das kaum. In Taiwan (24 Mill. Einwohner) haben sich nur 720 Menschen mit dem Coronavirus infiziert - insgesamt. In Vietnam mit seiner Grenze zu China sind es 1.400. Und in Südkorea sind ohne verordneten Lockdown absolut dreißigmal weniger Menschen erkrankt als in Deutschland.

Wie wurde das geschafft? Hinsichtlich China wird routinemäßig auf den autoritären Staat hingewiesen. Aber auch liberale Demokratien wie Südkorea, Japan und Taiwan, Neuseeland und Australien haben mit ähnlich drastischen Mitteln, aber auf demokratischem Weg auf die Pandemie reagiert. Die gute Nachricht dabei ist: ein autokratischer Führungsstil oder Menschenrechtsverletzungen sind keine Voraussetzung für die Ausmerzung des Virus.

Nicht alles lässt sich vergleichen. Doch in den meisten asiatischen Staaten verfolgen die Regierungen grundsätzlich eine radikale Orientierung hin zur 'schwarzen Null'. Jeder Fall ist schlicht ein Fall zuviel. Man ergeht sich nicht in Diskussionen über die Zahl von Intensivbetten. Und fast ein Jahr nach Beginn der Pandemie wird in Asien wieder in Clubs getanzt, Kinos und Theater haben geöffnet.

In Deutschland machten sich noch im Sommer Experten über das Tragen von Masken lustig. Die Maske galt als Symbol asiatischer Gehorsamkeit, einer homogenen Masse, die ja auch ohne Maske kein Gesicht habe. Eine Maske widerspreche in Europa einer offenen und liberalen Gesellschaft. Entsprechend meinte des Sozialoge Hartmut Rosa im Bayerischen Rundfunk, dass in westlichen Gesellschaften das Gesicht der 'zentrale Resonanzraum' sei. Wo er diesen Raum bei Asiaten vermutet, erklärte er nicht.

Viele asiatische Länder reagierten auch besser in diesem Jahr, weil sie auf Erfahrungen aus der Sars-Epidemie 2002/2003 zurückgreifen konnten, woran sich viele Menschen noch mit Horror erinnern.

Eine taiwanesische Studentin berichtet von ihrem Eindruck, dass in Deutschland anscheinend viele Menschen mehr Angst vor einer Ausländerin mit Maske hätten als vor einer ohne. - Der Chefredakteur der Bild, Julian Reichelt schrieb in einem an Xi adressierten Kommentar 'Jede kritische Zeitung ...machen Sie dicht, aber nicht die Buden, an denen Fledermaussuppe verkauft wird. Sie überwachen Ihr Volk nicht nur, Sie gefährden es auch....'

Doch hinter der angeblich politischen Kritik und Sorge um die Gesundheit von Menschen hierzulande, verbirgt sich häufig nicht nur Unkenntnis, sondern auch Rassismus. - Antichinesischen und antiasiatischen Rassismus gibt es in Europa schon seit dem 13. Jhdt. Auch in Deutschland und auch in der jüngeren Vergangenheit nicht nur während der Naziherrschaft (Ausweisung und Konzentrationslager von Chinesen), sondern auch später in Hoyerswerda (1991) und Rostock (1992), wo Rechtsradikale unter dem Applaus von Einwohnern Wohnungen von Vietnamesen angriffen. - Wissenschaftler u.a. der Humboldt-Universität und der FU in Berlin erforschten anti-asiatischen Rassismus in Deutschlalnd während der Pandemie und stellten eine Zunahme des Rassismus fest. Auf der Straße und im Internet seien Menschen immer wieder Opfer antiasiatischer Ressentiments geworden.

 

In Wuhan erkannten Experten, dass Infizierte isoliert werden müssten, z.B. in Quarantänezentren o.ä. abseits der Familie. Dass in Deutschland einzelne Haushaltsmitglieder unter Quarantäne stehen können, andere aber nicht, wird in Asien nicht verstanden. Wesentlich für den asiatischen Erfolg war der große gesellschaftliche Zusammenhalt. Natürlich gab es auch Kritik an Maßnahmen; aber wenn beschlossen, dann wurden die Maßnahmen konsequent durchgeführt und auch kontrolliert, aber auch aus freiem Willen eingehalten. Ständige Appelle waren überflüssig. Der Wert des Lebens war in keiner Weise verhandelbar.

Dass Europäer nicht darauf verzichten wollen, ihr Weihnachtsfest wenigstens im kleine Kreis zu feiern, finden viele Asiaten irritierend. Anfang des Jahres gehörte das Neujahrsfest zu den wichtigsten Feierlichkeiten des Jahres. Eine Debatte gab es trotzdem nicht. Fast alles wurde ohne Zögern abgesagt. Monatelang waren auch Geschäfte geschlossen, und das ohne soziale Absicherung.

Wer die asiatische Solidarität aber für Wahllosigkeit von unterdrückten Völkern hält, irrt gewaltig. In vielen asiatischen Gesellschaften wurden die Einschränkungen nicht politisiert. Wichtig war, schnell wieder zur Normalität zurückzukehren. Proteste? Maskenverweigerer? Unvorstellbar. Und viele sind auch stolz, mit Disziplin und Vernunft einen Beitrag zum Erfolg geleistet zu haben.

Corona? In Asien fast schon vergessen!

 

 

https://www.sueddeutsche.de/leben/corona-asien-europaeische-arroganz-1.5142619?reduced=true   (kostenpflichtig)