Xinjiang – auf dem Weg zum digitalen Überwachungsstaat?’

Vortrag vom 25.09.19

Dr. Harald Maass, München

 

Am 25.09.19 fand abends im Lichthof des FJM-Gymnasiums die gemeinsame Veranstaltung der GDCF und der GSP (Gesellschaft für Sicherheitspolitik) statt mit einem Vortrag über Xinjiang, eine große Provinz im Nordwesten von China, mit ihren großen Ethnien von Uiguren und Kasachen.

 

Dr. Harald Maass, der knapp 15 Jahre in Hongkong und Peking als Journalist für zahlreiche deutsche und ausländische Zeitungen, Illustrierte und Magazine gearbeitet hat, hatte im vergangenen Jahr die überraschende Gelegenheit, für zwei Wochen recherchierend durch Xin-jiang zu reisen. Überraschend, da Touristen in Xinjiang offiziell eher wenig willkommen sind, und Journalisten schon gleich gar nicht! Herr Maass beschrieb einleitend die akribischen und technischen  Vorbereitungen, damit sein eigentlicher Beruf nicht erkennbar würde. Die Konsequenzen hätten dann sehr unangenehm für ihn werden können.

 

 

 

Herr Maass betonte gleich zu Beginn, dass er China während seiner Berufs-tätigkeit ausgesprochen lieben gelernt hat. China ist für ihn ein begeisterndes Land und mit den Chinesen habe er sehr gern zusammengelebt; er habe unter ihnen viele sehr gute Freunde. Aber jetzt sehe er mit Erschütterung, wie sich die Politik geändert habe. Er beobachte die Entwicklung mit Sorge, besonders natürlich in Regionen wie Xinjiang.

 

Die Bevölkerung von Xinjiang besteht hauptsächlich aus Uiguren und Kasachen, die zu den Turkvölkern gehören; sprachlich besteht große Verwandtschaft zum Türkischen; ihre Religion ist der Islam. Die Bevölkerung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bei Kinderreichtum erheblich vermehrt;

wegen  der politisch gesteuerten Ansiedlung von Han-Chinesen hat sich allerdings der prozentuale Anteil von Uiguren fast halbiert.

 

Mit der Begründung der Sicherheit überzieht Peking Xinjiang mit einem Sicherheits- und Überwachungssystem, was Herr Maass bereits bei der Grenzkontrolle zu spüren bekommt : „Mit einem Wink deutet der chinesische Grenzpolizist auf das Förderband. Mit erhobenen Händen muss ich mich auf das

 

 

 

schmale Band stellen, das mich langsam durch eine große, graue Maschine zieht. Ein Brummen ertönt, während die Elektronik mich von Kopf bis Fuß durchleuchtet. Gleich werden die Beamten mein Gepäck durchwühlen. Die privaten Fotos und Nachrichten auf meinem Handy begutachten, Dokumente auf meinem Computer öffnen. Meine Fingerabdrücke scannen, mein Gesicht fotografieren. Und sie werden Fragen stellen: Warum ich einreisen will? Was mein Beruf ist? Ob ich Freunde oder Bekannte habe, die ich besuchen werde? Eine halbe Stunde dauert das Verhör. Dann stehe ich im gleißenden Sonnenlicht auf der Straße.“ (vorgelesen aus seinem Artikel im SZ-Magazin vom 15.03.19).

Herr Maass beschreibt dann – und zeigt mit zahlreichen Bildern -, dass die Städte aus-sehen wie im Kriegszustand: Absperrungen, Sicherheitskorridore, Überwachungskameras, Polizisten, wohin das Auge schaut; nicht nur vor großen öffentlichen Gebäuden, sondern auch vor kleinen Geschäften. Genau kontrolliert wird man permanent (er 53 Mal in den zwei Wochen) – außer den Han-Chinesen, die bei Kontrollen im Bus sitzen bleiben dürfen oder einen separaten Durch-gang haben, an dem für sie keine Kontrolle

 

stattfindet. Kontrolliert wird nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch in zahlreichen Häusern und Wohnungen.

Man spürt die besondere Situation mit Angst und Unsicherheit auch am Verhalten der Bevölkerung. Während in ‚seinem’ China die Menschen offen waren und er sofort ins Gespräch kam oder angesprochen worden ist, kommt in Xinjiang ein Gespräch nicht oder nur kurz zustande, auch nicht bei z. B. längeren Busfahrten.

 

 

Seine investigativen Gespräche musste Herr Maass deswegen vor der Einreise in Kasachstan führen. Viele Uiguren und inzwischen auch Kasachen, die den Repressionen ausgesetzt waren, fliehen oder halten sich bei Verwandten in Kasachstan auf, wo sie freier über die Verhältnisse in Xinjiang und ihr persönliches Schicksal erzählen können.

 

Viele  von ihnen  haben in  Umerziehungs-lagern gesessen - ohne Begründung, ohne

Rechtsverfahren und ohne eine Mitteilung über die mutmaßliche Dauer; mit willkürlich seltener Besuchserlaubnis für die Angehörigen, die häufig nicht wissen, wo ihre Angehörigen interniert sind und was mit ihnen geschieht. Manche kommen nicht wieder; andere schon nach ein paar Monaten – auch mit sichtbaren Spuren ihres Aufenthaltes.   

 

 

Peking gibt inzwischen die Existenz von Lagern zu, nennt sie allerdings Ausbildungslager. Nach Schätzungen dürften 1 Million Menschen in Lager gebracht worden sein. Und dank Satellitenbildern gibt es inzwischen auch eine relativ plausible Vorstellung von der Menge und Größe der Lager; bis zu 8000 Menschen könnten in einem Lager sein.

 

Die Uiguren können ihre Religion nicht mehr ausüben; die Moscheen sind verschlossen. Sie müssen miteinander Hoch-Chinesisch sprechen – auch Gespräche können überwacht werden. Und dank der Gesichtserkennung ist jeder schnell identifizierbar.

 

Die anschließende Diskussion war lebhaft und umfangreich bei zahlreichen Wortmeldungen der knapp 50 Zuhörer. Bedauerlich war die insgesamt sehr überschaubare Zahl von Mitgliedern beider Gesellschaften.