Verunsicherte Weltmacht

Nach außen tritt Chinas Staats- und Parteispitze stark und selbstbewusst auf. Zu Hause heizt sie den Nationalismus an, um von Versäumnissen abzulenken. In Stolz aufs Erreichte mischt sich der Hass aufs Fremde.

Lea Deuber

10.10.20, SZ Seite 8

 

 

"Als Ausländer bist du gefährlich - vielleicht infiziert". Als erkennbarem Ausländer wird einem die Reise zur Zeit in China nicht mehr leicht gemacht. Trotz eines aktuell negativen Corona-Testes, trotz unauffälliger Temperaturmessung und trotz eines Eintrages im Pass, der bestätigt, dass die Journalistin in den vergangenen Monaten China nicht verlassen hatte, wird sie in einen kargen Raum für Auslänger geführt; nicht einmal die Toilette kann sie aufsuchen: "Für Ausländer gesperrt". - Während der vergangenen Jahre begegneten einem ausländischen Touristen die Einheimischen freundlich und neugierig - bis Corona kam.

Jetzt fliegen Ausländer aus Bars, Restaurants, Fitnessstudios; sie dürfen manche Hotels und Wohnviertel nicht mehr betreten - auch nicht mit negativem Corona-Test. Und ohne einen solchen ist das Reisen in China kaum noch möglich. Das Misstrauen ist staatlich gewollt. Im Internet schauen Hunderte Millionen Chinesen ein Video, in dem erklärt wird, in welche Mülltone Ausländer gehören.

Wer sich aufmacht auf eine Reise, um die Stimmung der Menschen zu ergründen in dem Land, in dem das Virus seinen Ursprung nahm, der erlebt eine Nation, die Stürke zeigen will, doch im Kern verunsichert wirkt wie selten. Peking warnt das Ausland, das Virus nicht zu 'politisieren'; doch die KP Chinas tut alles, die Geschichte umzudeuten. Sie macht das Ausland für das Virus-Problem verantwortlich. Das soll vom eigenen Versagen zum Beginn der Krise ablenken. Und Erfolge ausländischer Demokratien, Taiwan zuvorderst, werden verschwiegen. In Stolz auf das selbst Erreichte mischt sich der Hass aufs Fremde.

In der 'Goldenen Woche' dieses Jahres, den Oktoberferien, konnten die Chinesen nicht mehr ins Ausland reisen - und wollten es auch nicht mehr. Im Internet kursieren Gerüchte, in Europa werde Jagd auf Chinesen gemacht. "Nur noch in China ist man sicher".

Nach außen stellt sich China als Weltmacht dar, die in der Corona-Pandemie zu alter Stärke zurückgefunden hat. Der Krieg gegen das Virus sei gewonnen laut Xi. Der Rest der Welt stehe nun Schlange auf Suche nach Rat. China als Retter.

Bei Neuinfektionen unterscheiden die Behörden zwischen lokalen Fällen und aus dem Ausland importierten Fällen. Die Botschaft: Ausländer bringen das Virus wieder nach China. Es wird nicht erwähnt, dass die meisten Rückkehrer Chinesen sind. Ausländern ist die Einreise bis auf wenige Ausnahmen nicht gestattet.

In der allgemeinen Propaganda ist jetzt Wuhan nicht mehr die Stadt, die geopfert wurde, sondern die sich geopfert hat zum Wohl der Nation. Der verstorbene Arzt  und Whistleblower Li Wenliang, der bestraft wiurde, weil er öffentlich vor dem Virus gewarnt hatte, ist inzwischen zum Nationalhelden erklärt und posthum von Xi Jinping mit einer Medaille geehrt worden; er habe im Namen der KP gehandelt. - Zugleich behindert Peking weiterhin die unabhängige Aufklärung zum Ursprung der Pandemie. Seit Wochen sitzen 2 WHO-Mitarbeiter, die die Untersuchung vorbereiten sollten, in Peking fest. Und Australien, das eine entsprechende unabhängige Untersuchung gefordert hatte, wird mit Sanktionen belegt.

Die Corona-Krise geht einher mit dem tiefsten Zerwürfnis zwischen den USA und China seit Jahrzehnten. Der 'Covid-König' Trump macht es mit seinem Corona-Schlingerkurs der chinesischen Propaganda leicht 'Trump wüte lieber gegen China, als seine eigenen Großmütter und Großväter zu retten'. Nach der Sprecherin des chinesischen Außenministeriums stehe dagegen in China das Leben von Menschen immer an erster Stelle. China als Wächter der Menschenrechte. - So erklärt sich auch Trumps zweiter Spitzname: der Mann, der das Land stark macht. Nur sind damit nicht die USA gemeint.

Parteichef Xi Jinping hat sich den Jahrstag des Endes des Zweiten Weltkriegs ausgesucht, um vom Wiederaufstieg der chinesischen Nation zu sprechen. Der Überfall Japans zu Beginn des Krieges spielt heute noch eine große Rolle. Xi sagt, nie wieder werde sich das chinesische Volk von ausländischen Mächten demütigen lassen. Auch den Einstieg Chinas in den Koreakrieg vor 70 Jahren hat er pompös feiern lasen. Die Nachricht: Fürchtet euch vor den Amerikanern nicht! Wir haben den Westen schon einmal geschlagen. Nach der Außenamtssprecherin (mit Blick auf die Coronazahlen): "Es ist eine Illusion zu glauben, dass die USA für immer im Licht bleiben und China im Dunkeln."

 

 

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