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Konsum statt Gebet

China tilgt in Xinjiang die Identität der Uiguren. Peking bestreitet das. Man dürfe gerne gucken kommen, sagte der Außenminister. Unsere Korrespondentin nahm ihn beim Wort – und wurde auf Schritt und Tritt behindert.

Friederike Böge; Kargelik/Hotan/Keriya

16.10.20 FAZ; Seite 3

 

Vor wenigen Wochen zog Xi Jinping eine Bilanz seiner Xinjiang-Politik: Die Strategie der Kommunistischen Partei habe sich als "absolut korrekt" erwiesen. Es herrsche "soziale Stabiliität, die Menschen leben friedlich und zufrieden". Die Maßnahmen müssen langfristig beibehalten werden. Bei allen Kadern, Jugendlichen und Kindern müsse "das Bewusstsein einer einheitlichen chinesischen Nation tief in der Seele verankert werden".

 

Die Eindrücke der FAZ-Jounalistin spiegeln keineswegs diese Zufriedenheit wider. - Die Große Moschee von Kargilik war einmal  das Wahrzeichen der Stadt. 2007 wurde sie unter Denkmalschutz gestellt und 2019 wurde sie abgerissen - wie Tausende anderer religiöser Stätten in Xinjiang im Rahmen des offiziellen 'Moschee-Verbesserung-Programms'. - Xi Jinpings Aufrufe, Chinas Kulturgüter zu schützen, um das "kulturelle Selbstbewusstsein" der "chinesischen Nation" zu fördern, gilt offensichtlich nicht für diese Orte.

Was die Bevölkerung von der neuen Ära denkt, erschließt sich der Journalistin während ihrer Reise nicht wirklich. 'Weiß ich nicht', 'ich bin neu hier' oder 'ich verstehe Sie nicht' sind die üblichen Antworten der Menschen, die sich permanent beobachtet fühlen und es auch werden. Ein Jadehändler, der im Zug von sich aus das Gespräch in Englisch beginnt, wird von Mitreisenden zum Schweigen aufgefordert und kurz später von Offiziellen abgeholt. - Im Gegensatz dazu sind die chinesischen (Han-) Polizisten sehr viel gesprächsbereiter. Doch ihr Englisch verlernen sie schnell, wenn die Fragen kritischer werden.

Auf öffentlichen Plakaten auch in größeren Städten kann man die "Vorgaben für Bauern und Hirten, um in die neue Ära zu kommen" nachlesen. Auf der Liste findet man dann: Jeden Tag Zähne putzen, jeden Tag Füße und Gesicht waschen, jeden Tag das Haus pútzen, jeden Tag Fernsehen schauen, jeden Tag Chinsisch lernen, jeden Tag arbeiten gehen, jeden Tag den Regeln folgen. Und dann folgt noch "Wir schaffen die schlechten Traditionen ab und wenden uns einem modernen schönen Leben zu". Das erinnert an den Kampf während der Kulturrevolution, nämlich gegen alte Denkweisen, gegen alte Kultur, gegen alte Gewohnheiten und gegen alte Traditionen.

Die neuen modernen Menschen sollen in modernen Städten leben, in denen nichts mehr an ihr früheres Dasein erinnert. In Keriya, Kargelik und Hotan wurden die Altstädte abgerissen und durch neutrale Häuser ersetzt.

Noch 2009 erhielt die Ethnologin Rahilä Dawut staatliche Förderung, um die Pilgerschaft zu Heiligenschreinen zu erforschen. Sogar die Parteizeitung China Daily berichtete damals bewundernd über diese "verbreitete Praxis". Daran lässt sich ablesen, wie rasant sich die Minderheitenpolitik in China verändert hat. - Rahilä Dawut ist seit Ende 2017 verschwunden, so wie Dutzende andere Wissenschaftler und Kulturschaffende auch. Noch 2012 hatte sie in einem Interview gesagt, ohne die Pilgerstätten "sürden wir nach ein paar Jahren keine Erinnerung mehr daran haben, warum wir hier leben und wo wir hingehören". Genau das dürfte jetzt das politische Ziel sein.

 

 

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wie-china-gegen-die-uiguren-vorgeht-wer-betet-kommt-ins-lager-17003662.html  (gebührenpflichtig)